Vor einiger Zeit hab ich ja mal hier allen Ernstes behauptet, gute Organisationen bräuchten keine Rebellen. – Dem wird gern mit dem Hinweis widersprochen, auch gute Organisationen würden verkrusten. Das sei ohne äußerliche Impulse ganz unvermeidlich.

Ich glaube, dass wir, wenn wir auf diese Weise von Menschen und Organisationen denken, noch nicht verstanden haben, was „gute Organisationen“ sind. Ich glaube auch, dass wir dann noch nicht verstanden haben, was „Demokratie“ eigentlich ist, was sie zu leisten im Stande ist und wie sie im Detail funktioniert. – Und ich glaube, dass wir dann auch noch (heimlich) einem sehr stark verkürzenden, undemokratischen Bild von uns selber anhängen. Einem Bild von uns selbst, das den psychologischen Mechanismen hinter den schönen, einfachen Oberflächen des Menschlichen kaum Beachtung schenkt.

Denn Demokratien nutzen ganz bewusst das Störpotential, das JEDER Mensch qua Menschsein ist. Denn jeder von uns ist ein ganzes Bündel von ständigen, immer wieder auftretenden Störungen für JEDE Art von sozialem System. Diese Störungen tauchen daher auch in allen Arten von Organisation zuverlässig auf und treiben jede Art von „Management“ systematisch in den Wahnsinn. Management/Demokratie als Gegensatz ist hier ein Sinn machender Begriff. Denn es schaffen eben nur „gute“, demokratische Organisationen, dieses Störpotential auch systematisch und konstruktiv für sich zu nutzen. Management kann alle möglichen wunderbaren Wunderdinge, aber DAS kann es nicht leisten. DAS kann wirksam und dauerhaft nur Demokratie.

Demokratien nutzen es gezielt aus, dass jeder Mensch der „Gesellschaft“ oder der „Organisation“ äußerlich ist.

Wie schaffen Demokratien selbst jenes „Unmögliche“, jenes „Ungeheure“? Aus uns allen, aus uns Störern, die wir wir sind, ein hochgradig funktionsfähiges „Gemeinwesen“ zu bilden, das alles andere als sich-selbst-blockierend ist? Ein Gemeinwesen, das alles andere ist als „ein reiner Debattierclub, bei dem am Ende ja sowieso nichts heraus kommt“?

Die Zaubermittel der Demoratie sind zweierlei: Gezielte Einrichtung von zeitlich und örtlich begrenzten Räumen der Machtgleichheit. UND die Möglichkeit für alle menschlichen Störungen, sich in diesen „politischen“ Räumen wirksam Gehör zu verschaffen. – Durch die Kombination aus BEIDEN Mitteln wird „die Störung zum System“: werden die menschlichen Störungen in die sozialen Systeme „eingespeist“ und zum Vehikel einer beständigen Selbstreform, eines Systems der Systembrüche.

Darum brauchen Demokratien auch keine „externen Berater“. Denn ALLE Menschen sind diesen Gesellschaften „externe Berater“.

Oder anders gesagt: Jeder Mensch ist ein Rebell. Einfach aus seinem Mensch-Sein heraus.

Und gute Organisationen, Demokratien, sind jene Gesellschaften, die dieses natürliche, allgemeine, menschliche Rebellentum für sich gezielt zu nutzen verstehen.

Demokratien erwecken den Rebellen in JEDEM zum Leben, indem sie das Problem der ungleichen Macht institutionell ausschalten und indem sie zugleich allem Menschlichen eine politisch wirksame Stimme geben. Sie sehen „Politik“ als allem übergeordneten Koordinationsraum, der die natürlichen menschlichen Resonanzfähigkeiten gezielt für Organisation und Reform von Organisation nutzen kann. Für eine begrenzte Zeit, in einem begrenzten Raum. Immer wieder.