Ich denke, der Leib-Seele-Dualismus ist tief in unserer Kultur verankert: In unserem Denken, in unserer Sprache, in unseren weiteren Institutionen, auch in unseren politischen Institutionen.

Grundsätzliche Möglichkeiten

Das wirft die Frage auf, wie wir heute mit ihm umgehen wollen. Es sind mehrere Möglichkeiten denkbar. Von Versuchen der Einebnung der Unterscheidung, der Verschiebung der Unterscheidung, der Umkehrung der Wertung in der Unterscheidung bis hin zur Auslöschung durch Ersetzung durch andere Leitunterscheidungen. Letzteres könnte man auch freundlicher: „Nicht-mehr-Ingebrauchnahme“ nennen. Oder unfreundlicher: „Tod durch Aufmerksamkeitsentzug“.

Meine eigene, fragwürdige, Tendenz

Wenn ich meinem eigenen Denken beim Operieren zuschaue, sehe ich bei mir selber eine klare Tendenz: Eine Verschiebung mit einer gleichzeitigen Umkehrung der Wertung.

Aus Leib-Seele wird Unbewusstes-Bewusstes.

Aus der Bewertung von Seele (führend) zu Leib (gehorchend) wird Unbewusstes (führend) zu Bewusstes (gehorchend).

Das wirft Fragen auf hinsichtlich der Gründe für diese Entscheidung, mit dem Gegebenen (Leib-Seele-Dualismus) in genau dieser Weise zu verfahren und in keiner anderen.

Als Gründe für dieses Vorgehen kann ich bisher finden: Ich halte es für eine anthropologische Konstante, dass wir Dissoziieren können. Dissoziation ist für mich also „menschlich“. Nichts, das wir tilgen könnten oder auch nur zu tilgen versuchen sollten.

Dass „Leib und Seele“ oder „Unbewusstes und Bewusstes“ regelmäßig bei uns auseinandertreten (können) ist für mich eine Gegebenheit und damit für uns nicht verfügbar.

Wir können mit dieser Dualität nur umgehen, nicht sie tilgen, einebnen oder auslöschen.

Idealerweise sprechen wir dabei von „Hochzeit“, von einem „Und“, von einem Immer-wieder-Auseinandertreten-und-immer-wieder-Zusammenkommen.

Bleibt noch die von mir vorgenommene Wertung, die ebenfalls begründungsbedürftig ist, weil sie (so wie in der platonischen Tradition) auch umgekehrt ausfallen kann und genau in dieser umgekehrten (platonischen) Form auch tief in unserer bisherigen Kultur verankert ist: Unbewusstes, Gefühle und Gedöns sind Mist – Geist und Intellekt und Bewusstsein sind alles; oder sollten zumindest die Führung übernehmen und die Hosen anhaben! Man kann ja „dem schlechten Pferd“ nicht die Führung überlassen!

Kooperation und Liebe als dauerhafte „Lösung“

Das Problem besteht also vor allem in der Frage danach, „wer führt“ oder anders formuliert: Was von beidem eigentlich der „aktive Part“ in dem Ganzen ist.

Naheliegend ist es, unser herumspringendes, kleines Bewusstsein für den aktiven Part zu halten. Z.B. ist das weitgehend so, während ich diesen Artikel hier schreibe. Es ist kaum mein Hunger, mein Schlafbedürfnis, mein Bedürfnis nach Anerkennung (nun, naja…), mein Bedürfnis nach Abwechslung, das mich dazu treibt, diesen Artikel hier so und genau so zu fabrizieren. Zumindest ist es mir nicht bewusst, wenn das so wäre. Ich wäre also unbewusst gesteuert, indem ich glaube, das mich nichts Unbewusstes steuert… 😉

Nun ist aber das, was dafür spricht, dem Unbewussten – und gerade nicht dem Bewusstsein – den aktiven Part zuzusprechen (wobei dieses „Zusprechen“ ein bewusster Akt ist), dass unser Unbewusstsein unendlich viel „reicher“ und „gehaltvoller“ ist als das, was in dem winzig kleinen Ausschnitt unseres Bewusstseins Platz hat. Zudem hat unser Bewusstsein keine guten inneren Kriterien, um sich selbst zu steuern. Wenn es Kriterien hat, so sind es welche, die nicht zwingend mit unserem Wohlergehen oder Schlechtgehen verknüpft sind. Zur Selbststeuerung sind sie also denkbar ungeeignet.

Unser Bewusstsein in seiner wilden, freien Art, tut sich also einen großen Gefallen, wenn es immer wieder bei unserem Unbewusstsein „nachfragt“, ob es gerade oder noch auf einem guten Weg ist.

Auf diese Weise ist gar nicht mehr eindeutig zu sagen, wer nun von beiden der „aktive Part“ ist: Unser Bewusstsein oder unser Unterbewusstes.

Vordergründig mag es, so gut wie immer, unser Bewusstsein sein, dass die Dinge vorantreibt, Entscheidungen trifft, etc.

Hintergründig ist es aber ganz bewusst unser Unbewusstes, das steuert. Das Bewusstsein sichert sich selber ab, indem es sich vom Unbewussten ganz bewusst beherrschen lässt. Das Bewusstsein beherrscht die Bühne, doch es befindet sich in enger Abstimmung mit dem Unbewusstsein, das der unsichtbar bleibende Regisseur hinter der Bühne ist.

Das alles geschieht aus einer Einsicht des Bewusstseins in sich selbst heraus: Wenn das Bewusstsein weiß, dass es ohne diese Regie verloren ist, dass es aus sich heraus gar nicht weiß, was gerade zu tun und was gerade zu lassen ist, dann kann es bewusst immer wieder darauf hören, was ihm der unsichtbar bleibende Souffleur einflüstert, während es die Szenerie beherrscht und die Bühne rockt. – Das Andocken des Bewusstsein beim Unbewussten geschieht dann aus einer Einsicht unseres Bewusstseins in seine eigenen Grenzen.

Oder in anderen, noch freundlicheren Worten: Die Zusammenarbeit zwischen Bewusstsein und Unbewusstem wird zu einem kontinuierlichen, fortgesetzten, wiederholten Akt der Selbstliebe.