Wir haben in den letzten Jahren viel über die neue Arbeitswelt geredet. Um so mehr ich mich aber mit älteren Arbeitnehmern unterhalte, um so mehr bekomme ich den Eindruck, wir sollten vielleicht auch mal ein paar tiefergehendere Gespräche über die alte Arbeitswelt haben.

In den Gesprächen, die ich mit Menschen Ende 50, in ihren 60ern und 70ern über ihr Erwerbsleben haben darf, verfestigt sich zumindest bei mir der Eindruck, dass an folgender Schilderung des Anthropologen David Graeber mehr als nur ein Fünkchen Wahrheit ist:

„In einem früheren Buch habe ich den Gedanken geäußert, dass der grundlegende historische Bruch, der zu unserem gegenwäritgen Wirtschaftsregime führte, im Jahr 1971 erfolgte, als der US-Dollar vom Goldstandard abgekoppelt wurde. Dies ebnete den Weg zunächst zur Finanzialisierung des Kapitalismus und schließlich zu wesentlich tiefgreifenderen langfristigen Umwälzungen, die nach meiner Vermutung das Ende des Kapitalismus insgesamt befördern werden. Davon bin ich nach wie vor überzeugt. Doch hier geht es um wesentlich kurzfristigere Auswirkungen. Was bedeutete die Finanzialisieurng für die stark bürokratisierte Gesellschaft des Amerikas der Nachkriegszeit?

Man kann diese Entwicklung meiner Ansicht nach am besten als eine Verschiebung der sozialen Loyalität des Managements der Großkonzerne bezeichnen: Während sich die die Manager früher de facto in einem fragilen Bündnis mit ihren Arbeitern sahen, fühlten sie sich nun in erster Linie mit den Investoren verbunden.

John Kenneth Galbraith hat schon vor Jahrzehnten auf diesen Zusammenhang hingewiesen: Wenn man eine Organisation aufbaut, deren Aufgabe darin besteht, Parfüms, Milchprodukte oder Flugzeugrümpfe herzustellen, dann werden die Menschen, die mit dieser Tätigkeit befasst sind, danach streben, noch bessere Parfüms, Milchprodukte oder Flugzeugrümpfe herzustellen, und nicht vorrangig daran denken, wie sie die Gewinne der Anteilseigner steigern können. Da zudem während des größten Teils des 20. Jahrhunderts ein Job in einer große bürokratischen Megafirma eine lebenslange Beschäftigungsgarantie darstellte, neigten die Beteiligten – die Manager und die Arbeiter gleichermaßen – zu der Einstellung, dass sie in dieser Hinsicht ein gemeinsames Interesse einte, das jenem der Eigentümter und Investoren entgegenstehen konnte.

Diese Art von Solidarität über Klassengrenzen hinweg hatte auch einen Namen, man bezeichnete sie als „Korporatismus“. Man sollte dieses Verhältnis aber nicht romantisch verklären. Es bildete unter anderem die philosophische Grundlage für den Faschismus. Der Faschismus habe einfach, so könnte man behaupten, den Gedanken übernommen, Arbeiter und Manager hätten gemeinsame Interessen, Organisationen wie Unternehmen oder soziale Gemeinschaften bildeten ein organisches Ganzes, Finanziers verkörperten eine fremde, parasitäre Kraft und der Faschismus hätte diesen Gedanken übersteigert und zugleich mörderisch auf die Spitze getrieben. Selbst in ihren milderen, sozialdemokratischen Spielarten in Europa und Amerika verband sich eine entsprechende Politik häufig mit einer Art von Chauvinismus. Aber auch in diesen Varianten wurde die Gruppe der Investoren eigentlich als Außenseiter betrachtet, gegen die sich die Arbeiter und die Manager in gewissem Maße in einheitlicher Front zusammenschließen konnten.“

(David Graeber, Bürokratie, S. 24 ff.)

Um den letzten Absatz zu bewerten, reichen meine eigenen Kenntnisse und Erfahrungen nicht aus. Was ich aber aus zig Gesprächen mit älteren Arbeitnehmern bestätigen kann, ist, dass mir in ihren Schilderungen eine völlig andere Arbeitswelt entgegentritt als die, die wir heute kennen und für „normal“ halten. Viele Geschichten älterer Arbeitnehmer drehen sich um den kulturellen Niedergang von Unternehmen, die von ihnen früher subjektiv durchaus als „great places to be“ empfunden wurden. Und dann über Jahrzehnte hinweg immer weniger. Diese Geschichten sind so zahlreich und so authentisch, dass sie nach meiner Einschätzung über reine Verklärungen vom Typ „Früher war alles besser“ hinausgehen. Auch mit einem auf hypersensibel eingestellten Bullshit-Detektor wirken sie auf mich persönlich glaubwürdig. Sie sind differenziert, detailliert und reflektiert. Es handelt sich um Wirtschaftsgeschichte durch die subjektive Brille von Menschen, „die dabei waren“. Oftmals mittendrin und in zentralen Rollen.

Es ist ohne Frage so, dass Unternehmen heute viel weniger darauf fokussiert sind „gute Waren zu einem erschwinglichen Preis“ zur Verfügung zu stellen, und viel mehr darauf, selbst eine gute Ware darzustellen. Der Handel mit Unternehmen hat den Handel der Unternehmen überlagert. – Und damit verbunden ist eine interne Solidarität der Arbeitnehmer aller Ebenen miteinander, inklusive einer Personalpolitik, die kaum Kündigungen kennt, nur noch im Ausnahmefall anzutreffen. Unternehmen sind heute nur noch im Ausnahmefall „Lebensgemeinschaften“. Die Bindung zwischen Arbeitnehmern und ihren Unternehmen besteht eher auf dem Papier oder in den hochtrabenden Sonntagsreden von Spitzenmanagern und der bestallten Internen Unternehmenskommunikation, die pro forma gute Stimmung zu verbreiten hat. Das hat man heute halt so.

Ähnlich wie Graeber liegt mir wenig daran, die alte Arbeitswelt zu verklären, die in Deutschland in den 80er Jahren des letzten Jahrtausends ihr Ende fand. Ähnlich wie Graeber ist mir der „Chauvinismus“, der Teil jener Arbeitswelten war, überdeutlich bewusst: Ihre Frauenfeindlichkeit, ihre Fremdenfeindlichkeit, ihre ausgeprägten Dünkel gegenüber anderen Unternehmen und sogar anderen internen Abteilungen. Es gab in der alten Arbeitswelt Berufscholeriker und Berufspsychopathen als Chefs, mit denen man sich als Arbeitnehmer irgendwie arrangieren musste und die einem das eigene Arbeitsleben zur Hölle machen konnten. Auch war „Arbeitslosigkeit“ noch viel stärker mit dem harten Verdikt versehen, nachdem „wer nicht arbeitet, auch nicht zu essen braucht“ (und schon gar kein schönes Leben haben darf!). Während heute Arbeitslosigkeit eine ganz andere Normalität angenommen hat. Bei den meisten von uns als wiederholte „Durchgangsstation“ von sehr unterschiedlicher Dauer.

Es gibt also viele Gründe, sich die alte Arbeitswelt nicht schön zu reden oder schön zu denken.

Allgemeine Entfremdung als Systemeffekt

Was wir aber auch in Rechnung stellen können: Mit jener Arbeitskultur, die wohl tatsächlich in den USA ihren Ausgang genommen und die sich seither auf unserem Planeten flächendeckend ausgebreitet hat, ist der interne Zusammenhalt in Unternehmen, ihre Fähigkeit zu langfristen, verlässlichen Partnerschaften mit ihren Arbeitnehmern („Arbeitsehen“) beständig im Abnehmen.

Bei Arbeitsverhältnissen handelt sich heute ganz überwiegend um reine Zweckgemeinschaften, wobei der „Zweck“ die raubbeuterische Ausbeutung von Märkten und auch die wechselseitige Ausbeutung ist. Unternehmen und Arbeitnehmer befinden sich miteinander in einem Wettbewerb darum, wer gerade wen „besser über den Tisch ziehen kann“, wer mehr aus dem anderen für sich herausholen kann, wer den anderen besser über den eigenen subjektiven Wert täuschen kann, wer beim Abschluss des Arbeitsverhältnisses den besseren „Deal“ macht und wer den anderen besser als Sprungbrett zu einem noch ganz anderen Verhältnis benutzen kann, in dem dann der momentane Partner und sein Wohlergehen keinerlei Rolle spielt. Man benutzt sich halt, aber man schätzt sich nicht. Und erst recht nicht sorgt man sich umeinander.

Man kann ganz allgemein von einem Verlust der wechselseitigen „Fürsorge“ sprechen. „Ist doch nicht mein Problem, wie es Dir morgen geht!“ ist das Grundprinzip der Sozialpartnerschaften, das für heutige Arbeitsverhältnisse bestimmend ist. Dass ein neuer Arbeitnehmer behutsam eingearbeitet wird, dass man miteinander mitfiebert und dem anderen möglichst viel Erfolg bei seinem Tun wünscht, dass man die kleinen persönlichen Eigenheitheiten voneinander kennt und liebevoll toleriert, dass man sich kurz gesagt „umeinander kümmert“, das kann man in heutigen Unternehmen realistischerweise nicht mehr erwarten.

Auch wenn heute immer noch unglaublich viele Arbeitnehmer erschreckend loyal mit ihren derzeitigen Unternehmen sind, kann man feststellen, dass diese Loyalität in der Regel sehr einseitig ist und von der anderen Seiten nicht im gleichen Ausmaß erwidert wird (erwidert werden kann). Menschen, die das Kümmern aus individuellen, psychologischen Gründen einfach par tout nicht lassen können, sind beliebte Ausbeutungsziele. Lebende Zielscheiben, so groß, dass sie gar nicht verfehlt werden können. Der Kümmerer ist der Dumme.

Würde man Unternehmen heute die klassische Einstellungsfrage: „Wo sehen Sie sich denn in 5 Jahren?“ stellen, müssten die allermeisten Unternehmen mangels lanfristiger Interessen passen. Denn sie wissen selbst nicht, wem sie in 5 Jahren gehören, und wohin jene neuen Eigentümer das Unternehmen entwickeln (oder abwickeln) wollen werden. Der verbindliche geistige Horizont vieler Unternehmen reicht exakt bis zum nächsten Quartalsbericht. Mal schauen, ob das derzeitige Management danach überhaupt noch in Amt und Würden ist.

Auch ich selber habe schon in Unternehmen gearbeitet, in denen es nichts Ungewöhnliches war, wenn ein Mitarbeiter in einem Fiskaljahr 3 verschiedene Vorgesetzte hatten. Die persönliche Bindung hält sich da naturgemäß in sehr engen Grenzen. Die rein statistische Chance, mit einem der vielen „Führungskräfte“ auch einfach mal nicht gut klar zu kommen, war nicht ganz gering. Viele Mitarbeiter arbeiteten in rein virtuell bleibenden „Teams“ zusammen. Echte, belastbare Vertrauensbasis auf der Grundlage dieses Nicht-Kontakts: So lala.

Wäre es das erklärte Ziel, ein Arbeitssystem mit allgemeiner Entfremdung voneinander zu schaffen, so wäre das, was wir gemeinsam seit den 80er Jahren entwickelt haben, ein heißer Kandidat für eine durchschlagende Umsetzung dieses Ziels.

Nun liegen mir persönliche auch Verschwörungstheorien ziemlich fern. Verschwörungstheorien überschätzen aus meiner Sicht immer die Fähigkeit des menschlichen Bewusstseins, gleichzeitig jede Menge Entwicklungen und Zusammenhänge im Auge zu behalten. Nur rückwirkend lassen sich gut Intentionen in Entwicklungen hineinprojizieren, die dann als „immer schon gewollt“ erscheinen. In Wahrheit stolpert die Menschheit eher von einer trial&error-Geschichte in die nächste.

So ist das Traurige auch bei der Sache mit der alten Arbeitswelt: Diejenigen, die damals in den 70-ern Entscheidungen getroffen haben, die den sozialen Zusammenhalt der Arbeitswelt irgendwas zwischen systemisch unmöglich bis faktisch sehr unwahrscheinlich gemacht haben, hatten kaum Ahnung davon, was ihre Entscheidungen anrichten würden. Die Ausmaße, die die Entfremdung voneinander bei der Arbeit annehmen kann, war – aus der Sicht der alten Arbeitswelt – wahrscheinlich schlichtweg unvorstellbar. Und vielleicht wissen viele „Entscheider“ auch heute noch nicht, was ihre Entscheidungen in der täglichen Realität des Arbeitslebens zerstört haben. Wie unmenschlich, kalt und seelenlos sie die Arbeitswelt gemacht haben.

Auch das ist ein Entfremdungszusammenhang: Denjenigen, die die Entscheidungen treffen, bleiben von den Folgen ihrer Entscheidungen merkwürdig unbetroffen. Die menschlichen Wirkungen bleiben den menschlichen Ursachen fremd. Es gibt kein wirksames menschliches Feedback. Sie wissen nicht was sie tun. Und sie bleiben in dem entstandenen System auch für immer unwissend und damit gewissermaßen „unschuldig“. Sie glauben wohl wirklich, das Beste für alle zu tun. Sie haben ein reines Gewissen, keine menschliche Rückmeldung wird je zu ihnen vordringen. Nichts wird je auf einen Zusammenhang zwischen ihrer Entscheidung gestern und der humanitären Katastrophe heute in einer solchen Form hinweisen, dass man sich den Zusammenhang nicht auch sehr leicht wegdenken könnte. „Alles Spekulation“. „Es ist viel komplexer“. Es herrscht eine allgemeine menschliche Verantwortungslosigkeit. Es muss heute eben jeder selbst schauen, wo er bleibt. Und einige von uns können ein klitzekleines bisschen leichter danach schauen als andere von uns. Wer all zu engagiert und kooperativ ist, betreibt einfach schlechte Selbstsorge.

Natürlich hat man (dennoch? genau deswegen?) immer brav argumentiert und Dinge schön geredet. Sachzwänge erfunden, um zu kaschieren, dass es sich um rechtlich-politische Entscheidungen handelte, die dann eben die Folgen hatten, die viele von uns zu spüren bekommen haben. „Abwanderung von Arbeitsplätzen“ war z.B. seit den 90ern ein beliebter rhetorischer Topos, der so oft wiederholt wurde, bis er eine unhinterfragbare Wahrheit war. Ungeachtet Produktionsmängeln, kostspieliger Verständigungsprobleme, Transport- und Lagerkosten, die mit solchen Arbeitsplatzverlagerungen zuverlässig einhergingen. Ungeachtet aber vor allem der allgemeinen Entfremdung, die sich in den meisten unserer Unternehmen breit gemacht hat. Oft schon in Start-Ups, die bereits vorgeburtlich um das Kapital institutioneller oder hauptberuflicher Investoren buhlen (müssen?).

Die produktive Frage ist demzufolge auch eher: Ist heute wieder eine Arbeitswelt möglich, die die interne Unternehmens-Solidarität und die starke personelle Bindung der Mitarbeiter aneinander restauriert? Jedoch ohne zurück in einen vormodernen Chauvinismus zu verfallen, der in einer Welt einfach nur noch absurd wirkt, in der ein Großteil der Menschheit bereits ein weltbürgerliches Selbstverständnis entwickelt hat, Tendenz: immer noch weiter zunehmend?

Familiengeschichten über die alte Arbeitswelt

Ich selber kann dabei auch mit eigenen Familien-Geschichten aufwarten. Mein eigener Vater wurde in den 70ern in Wien von Siemens als Ungelernter von der Straße wegrekrutiert und auf den damaligen Großrechnern eingelernt. Das waren diese Computer-Monster, die ganz Gebäudeteile füllen konnten. Er wechselte dann zu Wacker Chemie nach München, opferte dort einen Teil seiner Gesundheit und Nerven im Drei-Schichtbetrieb, und machte danach bei IWIS Ketten eine kleine, bescheidene Karriere, bis er irgendwelchen Restrukturierungen zum Opfer viel. Wöchentliches Pendeln zwischen München und Lindau inklusive. – In der neuen Arbeitswelt ab den 90ern fand er sich dann nicht mehr zurecht. Lebhaft ist mir noch seine Schilderung im Gedächtnis, wie er in die IT-Abteilung seiner neuen, moderneren Firma kam und kein einziger seiner Kollegen zur Begrüßung auch nur den Kopf vom Rechner hob. Darauf hatte mein Vater dann irgendwann keinen Bock mehr und zog sich auf der Grundlage eines teils ererbten, teils erarbeiteten und ersparten Vermögens von der schönen neuen Arbeitswelt zurück.

Dabei darf man meinen Vater getrost als nicht ganz unkomplizierten Menschen bezeichnen. Mein Eindruck als jemand, der all seine Erzählungen nur durch seine Filter und meine ausgeprägte Vorstellungskraft erhalten hat, war: Auch in der schönen alten Arbeitswelt haben ihm, dem irakischen Kurden, nur wenige Kollegen verziehen, dass er in vielen seiner Eigenheiten „deutscher als die Deutschen“ war: Nämlich hyperkorrekt, absolut zuverlässig, diszipliniert, technisch findig und krankhaft pedantisch. Das war sowohl die Grundlage für seinen beruflichen Erfolg (in der alten Arbeitswelt) als auch für seine zwischenmenschlichen Probleme in einem Umfeld, das „Ausländer“ nur als billige Hilfs- und Zuarbeiter duldete, aber nicht in einer führenden oder tonangebenden Position.

Vor dem Hintergrund dieses Teils meiner persönlichen Familiengeschichte ist es vielleicht nicht ganz überraschend, warum ich es dann später selber überdurchschnittlich viel mit IT-lern zu tun bekommen habe (obwohl ich selber keiner bin) und zudem keinen ganz kleinen Teil meiner Tätigkeit als Business-Coach Menschen widme, „die auf der Suche nach einer neuen beruflichen Herausforderung sind“. Beide Themen, IT und Arbeitslosigkeit, habe ich sozusagen mit der Vatermilch aufgesogen.

Weltarbeitnehmer, wie wollt Ihr Euch eigentlich noch überhaupt vereinigen?

Heute, als Coach, treffe ich viele hochkompetente Menschen aus aller Welt, die hier in Deutschland – zumindest an der Oberfläche – völlig ohne Probleme leitende Rollen einnehmen, die für „das internationale Kapital“ hierzulande Märkte erschließen oder überhaupt erst aufbauen, oder umgekehrt von Deutschland aus ins Ausland expandieren.

Das alles erscheint mir vor dem Hintergrund meiner täglichen Gesprächserfahrungen mittlerweile als „business as usual“. So selbstverständlich, dass es kaum noch der Rede wert ist.

Genauso treffe ich auch die kaum qualifizierten „Arbeiter“, die sich in Märkten wie Fahrjobs, Lagerarbeit, Produktionshilfe, Putzjobs, Gastronomie, Bau und ähnlichem tummeln und dort nach Strich und Faden ausgebeutet und mies behandelt werden. – In München ist der Traum vieler dieser Menschen „einen Job bei der Stadt“ zu ergattern. Oder irgendwie in die Produktion bei BMW reinzurutschen. Also bei den letzten Relikten der alten Arbeitswelt, die wir hier lokal so zu bieten haben: 35-Stunden-Woche, 30 Urlaubstage und gefühlte Jobsicherheit auf Lebenszeit (obwohl ich persönlich mir nicht sicher bin, ob diese Rechnungen heute wirklich noch aufgehen).

Und natürlich gibt es sie auch heute, die Unternehmen „mit guter Kultur“, in denen der eine für den anderen einsteht, in der man zusammen für gemeinsame Ziele arbeitet, und der gemeinsame Erfolg im Vordergrund steht und nicht die individuelle Karriere, weil zugleich bei allen immer auch auf das persönliche Wohlergehen geschaut wird und was es dafür jeweils gerade individuell braucht. Durch alle Wechselfälle des Lebens hindurch: Familiengründung, Teilzeitwünsche, Mehrarbeitswünsche, Erkrankungen, Verlust von Partnerschaften, Wunsch nach Ortswechsel, Nachlassen der rein physischen Leistungsfähigkeit, Bedarf an größeren Herausforderungen oder auch einfach nur Abwechslung, etc.

Nur sind solche Unternehmen heute – zumindest nach meinen Erfahrungen – weitaus eher die Ausnahme als die Regel.

Die gegenseitige Ausbeutungsgesellschaft hat sich seit den 80er-Jahren weltweit durchgesetzt. Und es ist eine große Frage, wie wir, mit welchen rechtlich-politischen Regelungen, von diesem Trip jemals wieder runterkommen wollen?

Denn dass dieser Trip uns Menschen gut tut, erscheint mir, mit all den Gesprächen mit älteren Arbeitnehmern in meinem gedanklichen Gepäck, als extrem gewagte Behauptung. Die Arbeitswelt scheint durchaus auch schon mal besser gewesen zu sein, als sie es heute ist.

Heute kommen wir so mit Unternehmen zusammen: Was sind meine Bedürfnisse? Was sind meine Ziele? – Wer nützt, wer bietet mir grade am meisten? – Wie sieht das Ganze in meinem Lebenslauf aus, wenn ich diesen Job, dieses Unternehmen dann wieder verlasse? Wie baue ich gutes Arbeitnehmerkapital auf?

Aus Sicht der Unternehmen: Wer hilft uns sofort weiter? Wer macht keinen Ärger? Wer ist leistungsbereit, ehrgeizig und hat ein besonders beeindruckendes pauschales Skillset? Wer verkauft sich gut bei uns?

Von Bindungen und Wohlwollen der Arbeitnehmer füreinander ist bei solchen „Arbeitsquickies“ nicht die Rede. Das geht schon damit los, dass nur in den allerwenigsten Unternehmen das zukünftige Team selbst den neuen Kollegen kennenlernt und die Einstellung verantwortet, sondern eben „HR“ oder irgendein Chef, der schon morgen selbst gegangen sein wird und der sowieso sehr weit weg von jenem Team agiert, das für ihn hauptsächlich aus Excel-Sheets, Flowcharts und offiziellen Reportings besteht.

Kurz gesagt arbeiten heutzutage Menschen „zusammen“, die sich kaum kennen und die sich menschlich auch niemals werden kennen lernen können. Man bleibt sich eben fremd, obwohl man täglich irgendwie miteinander zu tun hat und voneinander abhängig ist.

Unsere Unternehmen selbst werden dabei zu seltsam würdelosen Gebilden. Kaum ein heutiger Arbeitnehmer ist ernsthaft stolz darauf, für dieses oder jenes Unternehmen zu arbeiten. Das ist selbst, vielleicht auch gerade bei „beliebten Arbeitgebermarken“ so. Beliebt sind diese Unternehmen wegen der vermeintlichen Arbeitsplatzsicherheit, die sie bieten, den Incentives und zivilen Arbeitszeitregelungen, wegen überdurchschnittlichen Gehältern oder ihrer Bekanntheit („Marke“) bei Freunden und Verwandten. Aber nicht wegen dem, was sie tun. Nicht wegen dem, was man in ihnen gemeinsam hervorbringt. Erst neulich hat mir ein international aufgestellter Engineer aus dem Automotive-Bereich in ebenso bildhafter wie glaubhafter Sprache den Qualitätsniedergang geschildert, den die Branche nach seinen Erfahrungen im letzten Jahrzehnt hinter sich hat. Der Mann ist Mitte 30, beruflich überaus erfolgreich und ein klassischer „Benzin-im-Blut“-Mensch. Stolz ist er auf das, woran er da beteiligt ist, aber ganz offensichtlich schon seit längerer Zeit nicht mehr. Das hört sich bei Menschen Anfang 60, die in ihrem Berufsleben die Automotive-Industrie mitgeprägt haben, noch deutlich anders an.

Träume von gestern, Träume von morgen

Der Traum von der guten Arbeit der Zukunft sieht daher logischerweise wie folgt aus:

100% Home Office, fancy Arbeitgebermarke, die sich gut im CV macht, und natürlich so viel Gehalt, wie sich nur irgendmöglich rausholen lässt. Arbeit in Teilzeit (und damit die zeitlich möglichst weitgehende Reduktion der eigenen Entfremdung) rundet das optimale Arbeitsangebot ab.

Leidenschaften und Bindungen sind außerhalb der heutigen Arbeitswelt einfach deutlich besser aufgehoben als in ihr.

Uns aber bleiben immerhin die nostalgischen Geschichten „von früher“. Nutzen Sie also die alten Arbeitnehmer, so lange sie noch am Leben sind! Sprechen Sie einfach mal mit Ihren Eltern, Großeltern, mit der netten älteren Nachbarin oder mit dem schachspielenden Opa im Park über seine „Karriere“. Und fragen Sie diese Menschen mal ganz gezielt, wie die Arbeitswelt sich ihren Erfahrungen nach über die Jahrzehnte hinweg verändert hat. Betreiben Sie vergleichende ethnologisch-historische Feldforschung am lebenden Erfahrungsschatz.

Ich zumindest war sehr, sehr überrascht über die Einmütigkeit unserer Alten, was das angeht.