Es ist das Verdienst von Gerald Hüther, herausgearbeitet zu haben, wie stark Freiheit und Verbundenheit aufeinander bezogen sind. Wie sehr wir Menschen beide Größen in unserem Leben brauchen, wie unverzichtbar beides für uns ist.

Stellvertretend für viele mögliche Zitate stehen z.B. diese Formulierungen hier:

„Dabei macht jedes Kind zwei Grunderfahrungen, die tief in seinem Gehirn verankert werden: Die Erfahrung engster Verbundenheit und die Erfahrung eigenen Wachstums und des Erwerbs eigener Kompetenzen. Diese beiden Grunderfahrungen bestimmen als Grundbedürfnisse seine künftigen Erwartungen. Zeitlebens sucht jeder Mensch nach Beziehungen, die es ihm ermöglichen sich gleichzeitig als verbunden und frei zu erleben. Nur wenn diese beiden Grundbedürfnisse gestillt werden können, ist ein Kind – und später ein Erwachsener – in der Lage, die in seinem Gehirn bereitgestellten vielfältigen Vernetzungsangebote auf immer komplexer werdende Weise zu nutzen und ein entsprechend komplexes Gehirn zu entwickeln. (Gerald Hüther: „Was wir sind und was wir sein können“, S. 45 f)

Das Schöne ist nun: Es ist gesellschaftlich möglich, diese „Freiheit in Verbundenheit“ systematisch herzustellen. Und zwar nicht nur für einige Wenige, Glückliche unter uns. Sondern systematisch für uns alle.

Die Antwort auf diese Aufgabenstellung heißt – vielleicht überraschenderweise – Politik.

Die Politik und insbesondere die Demokratie wurde ursprünglich erfunden als eine Praxis, die es allen, denen der Bürgerstatus (und damit die Teilnahme an Politik) eingeräumt wird, die beständige Erfahrung von Freiheit in Verbundenheit ermöglicht.

Um das nachvollziehen zu können, ist es hilfreich zu verstehen, dass die Politik und die Demokratie in ihren ursprünglichen Formen ein Beziehungsgeschehen waren. – Die klassische Formel von der „Freiheit und Gleichheit“ der Bürger bedeutete auch, dass in der Politik deswegen mit Vorsatz ein Raum der Gleichheit, also der Augenhöhe geschaffen wurde, weil das die Voraussetzung dafür war, dass die bürgerliche Beziehung eine freie Beziehung sein konnte. Denn fixe Statusunterschiede verunmöglichen freie Beziehungen. Sie triggern bei uns stattdessen Kämpfe um Statusgewinne oder Abwehr von Statusverlusten. Und während wir damit beschäftigt sind, einander zu bekämpfen, fühlen wir uns weder frei, noch verbunden.

Die institutionellen Reformen, die zur Herausbildung der Demokratie führten, brachten die Menschen als Bürger in einen beständigen Kontakt, in dem sie ihre Verbundenheit erleben und pflegen konnten.

Dass daraus eine geradezu unglaubliche Freiheit entsprang, auch eine Freiheit von den eigenen Gewohnheiten, Traditionen und gesellschaftlichen Institutionen, dürfen wir, da es sich um die autonomie-verrückten Griechen handelte, als Absicht und Ziel der Erfindung jener Demokratie verstehen.

Die Demokratie, nicht als bürokratisches Gebilde, sondern als von den Bürgern gelebte Beziehungsform ist also die Antwort auf jenes Rätsel, das uns heute manchmal so unlösbar vorkommt wie die Quadratur des Kreises: Wie Freiheit und Verbundenheit von uns nicht als Widersprüche erlebt werden können? Wie denn Freiheit in Verbundenheit möglich werden kann? Für alle Menschen?

Dass uns Menschen das überhaupt möglich ist: frei und verbunden, verbunden und frei miteinander zu sein, das ist – zumindest für mich – ein niemals endender Auslöser von Freude und Zuversicht.